Dienstag, 23. September 2014

Medizinische Aspekte des Schusswaffentrainings (Teil 1)

"Was hat der Einsatz einer Schusswaffe mit Medizin zu tun?" Diese öfter auf dem Schießstand gestellte Frage ist nicht sofort zu beantworten und beschäftigt mich seit einigen Wochen.
Gibt es Berührungspunkte jenseits der Versorgung einer Schusswaffenverletzung bei einer bewaffneten Auseinandersetzung oder gar bei einem Unfall im Training oder Wettkampf überhaupt?
Je mehr ich mich in das Thema vertiefte, umso deutlicher wurde, dass die bessere Frage lautet: "Bei der Fülle des Stoffes, was können wir weglassen?"

Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Didaktik ist es sinnvoll, dieses weite Feld zu unterteilen und in mehreren Beiträgen einen Versuch zu unternehmen, einige wichtige, insbesondere praktische Aspekte mit Nutzen für Sportschützen, Jäger und behördliche Waffenträger, darzustellen.

Folgende Unterteilung scheint sinnvoll:
1. Besonderheiten des Schießsports und der Anwendung von Schusswaffen
2. Physische und psychische Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs/Trainings und psychologische Konditionierung
3. Das menschliche Auge: Voraussetzung einer guten Zielerfassung, Diagnostik und Hilfsmittel
4. Der Einfluss von Medikamenten bei der Schussabgabe
5. Die Sofortversorgung von Schusswaffenverletzungen


Besonderheiten des Schießsports und der Anwendung von Schusswaffen

Dieser erste Beitrag soll einige Besonderheiten des Schusswaffeneinsatzes beleuchten.
Der Schießsport ist eine Sportart, die sowohl physische, im besonderen Maße aber psychische Anforderungen an den Schützen stellt. In weit ausgeprägterem Maße trifft dies auf den Einsatz von Schusswaffen im militärischen, polizeilichen und sonstigen Bereichen (Personenschutz, Wachdienste et.c) zu. Hier kommt es besonders auf eine gewisse Stressresistenz an. Ein Sportler kann im schlechtesten Fall mit seinen Trainingsergebnissen unzufrieden sein, diese Trainingseinheit ggf. wiederholen, oder das Wettkampfergebnis ist subjektiv einfach unbefriedigend. Bei einem Einsatz der Schusswaffe in behördlichen Bereichen und beim Militär steht oftmals das eigene Leben auf dem Spiel, eine völlig neue Dimension der Stressbewältigung und des Umgangs mit sich selbst wird offenbar. Einen, wenn auch minimalen Eindruck davon erhält man u.a., wenn eine Übung, die ohne Zeitdruck absolviert wird, plötzlich unter Zeitdruck geschossen wird. Und hierbei ist nur der Faktor Zeit als Stress auslösende Komponente hinzugekommen.

Schießsport ist kein Publikumsmagnet, selten sieht man bei Wettkämpfen mehr Zuschauer als bei einem dritt- oder viertklassigen Fußballspiel. Ausgenommen sind hier vielleicht Wurfscheibendisziplinen wie Skeet oder Trap.
Die oft grotesk anmutende prinzipielle Ablehnung von allem was mit Schusswaffen zu tun hat, begründet sich einerseits besonders in Deutschland mit historischen Erfahrungen, besonders der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts, andererseits wird diese Abneigung von einem oft irrationalen Zeitgeist und der sogenannten "political correctness" diktiert, wer immer diese derzeit auch definiert. Dennoch wird der Schießsport von vereinsinternen Wettkämpfen bis hin zu olympischen Spielen intensiv betrieben.
Dies hat mehrere Gründe.

Der Schießsport verlangt ein hohes Maß an Konzentration, Selbstbeherrschung, Ausdauer, Selbstvertrauen und ab einem gewissen Level auch eine gewisse Siegermentalität. Andererseits sind gute Wettkampfergebnisse ohne eine gewisse Grundfittness nicht erreichbar. Es ist somit eine hohe körperliche und gesitige Fitness notwendig, gleichwohl ist die direkte körperliche Belastung eher gering. Die Komplexität dieser Anforderungen an sich selbst versteht man sicher nur als aktiver Schütze in seiner ganzen Breite und Faszination.Auch eröffnet dies die Möglichkeit, diese Sportarten bis ins hohe Lebensalter mit respektablen Ergebnissen auszuüben. Die technische und ästhetische Anmutung einer schönen Präzisionswaffe trägt sicher zur Faszination dieser Sportarten bei, ist aber nicht Gegenstand dieses Beitrages.

Schützen, die ihren Sport eine Zeit lang ausüben, erliegen in den meisten Fällen dieser Faszination. Schnell wird den meisten klar, dass ein wesentlicher Erfolgsbaustein in einer stabilen Psyche liegt. Selbstbeherrschung, Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer sind bedeutende Bausteine auf dem Weg zu besseren Schießergebnissen.
Diese Eigenschaften sind zu erlernen und trainierbar. Einige grundlegende Techniken werden in Teil 2 dieser Artikelserie vertieft.

Auch sind die Ausbildung und Vertiefung bedingter Reflexe eine wichtige Trainingsmethode. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur die falsche Konditionierung des Abzugsfingers erwähnt. Ein Großteil schlechter Schießergebnisse ist auf eine Fehlkonditionierung  des rechten (respektive linken) Zeigefingers zurückzuführen.

Die Grundstellung und Körperhaltung des "modern isoceles" kommt unserem Körper und dem sogenannten Muskelgedächtnis entgegen. Unser ZNS und der Körper möchten Fehlstellungen und Muskelverspannungen immer sofort und vor allem unterbewusst korrigieren. Diese Korrektur findet ständig statt, nicht nur bei der Handhabung einer Waffe. Optimierungsmöglichkeiten sind auch hier gegeben. Details wie Visualisierung und Atemtechnik werden in Teil 2 näher beschrieben.

Für Militär, Polizei und andere Gebrauchswaffenträger ist eine gewisse Bewusstseinshaltung essentiell. Es könnte bei einem Schusswaffeneinsatz um das eigene Überleben und die mögliche Verletzung eines potentiellen Gegners gehen. Nicht jeder ist dieser Belastung gewachsen, dennoch ist auch diese in gewissen Grenzen erlern- und trainierbar.

Zur Funktion und Anpassung des menschlichen Auges als wichtiger integraler Bestandteil der Zielerfassung und somit einer erfolgreichen Schussabgabe wird in Teil 3 etwas ausführlicher Stellung genommen.

Der Einfluss von Medikamenten ist nicht nur im Hochleistungssport (Dopingliste), sondern auch bei allen anderen Schusswaffeneinsätzen (z. B. Jagd) nicht zu vernachlässigen. Einige grundlegende Überlegungen zu diesem Teilbereich folgen in Teil 4.

Die Darstellung einer ersten medizinischen Hilfe mit dem Schwerpunkt Schussverletzung runden in Teil 5 diese Beitragsserie ab. Hierbei kann vieles, z.B. aus der Fahrschulausbildung als bekannt vorausgesetzt werden. Eine Auffrischung des einstmal gelernten ist auch aus Gründen der möglichen Einsatznotwendigkeit im Alltag jedoch immer aktuell. Spezielle Sofortmaßnahmen bei Schussverletzungen werden selbstverständlich gesondert behandelt.
Mannigfaltige Anregungen von medizinischen und zahnmedizinischen Kollegen, interessierten Freunden und Bekannten sind in diese Überlegungen eingeflossen.

Wir bitten um Kritik und Anregungen!

Von Dr. Jochen Scopp

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