Montag, 6. Oktober 2014

Medizinische Aspekte des Schusswaffentrainings (Teil 2)

Körperliche Voraussetzungen und Fitness

Eine gewisse Grundkondition ist bei Schießwettkämpfen von erheblichem Vorteil. Die Schussabgabe an sich erfordert keine große Muskelarbeit und auch an die Belastbarkeit des Herz-Kreislaufsystems werden keine extremen Anforderungen gestellt. Dennoch sind für gute Schießergebnisse eine trainierte Muskulatur in Arm, Schulter, Nacken und Rücken sehr vorteilhaft. Spätestens nach 3 Trainingseinheiten mit der Trap-Flinte wird dies deutlich.
Diese Erfahrung blieb auch mir nicht erspart. Als ich einen Tageskurs Trap mit über 300 Schuss absolvierte, wurde mir dies bewusst. Falls man nicht permanent an Wettkämpfen teilnimmt, sollte ein allgemeines Fitnesstraining für Herz-Kreislauf und Muskulatur ausreichend sein.
Ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland treibt regelmäßig Sport, sei es Jogging, Radfahren, Schwimmen oder das Training in einem Fitnessstudio. Bessere Schießergebnisse sind die Folge einer regelmäßigen sportlichen Betätigung, der erwiesenermaßen positive Effekt auf das allgemeine Wohlbefinden sei hier nur am Rande erwähnt.

Besonders deutlich wird die Problematik einer allgemeinen Fitness bei der Herstellung und Beibehaltung einer stabilen Schiessposition über längere Zeit und bei Stresssituationen, z. B. behördliche Waffenträger/Militär. Allerdings wird bei diesen Personengruppen eine körperliche Eignung vorauszusetzen sein.

Eine möglichst ruhige Waffenhaltung ist unabdingbar für eine kontrollierte Schussabgabe. Jede Armbewegung, jede Körperbewegung beeinflusst einen kontrollierten Zielvorgang. Die tragenden Strukturen  unseres Körpers, das menschliche Skelett, werden durch eine trainierte Muskulatur stabilisiert. Am Beispiel des Schuss- und Unterstützungsarmes beim Kurzwaffeneinsatz wird dies sehr deutlich. Die Arme müssen unterstützt von (trainierten?) Muskeln in einer etwa waagerechten Haltung nach vorn stabilisiert werden. Die seitliche Richtung wird ohne großen Muskeleinsatz für eine Visierlinie, Auge-Kimme-Korn-Ziel, gehalten. Diese möglichst ruhige Haltung beim Schießen ist schwer zu erreichen. Einerseits sind reproduzierbare Bewegungsabläufe und Schießpositionen, die möglichst wenig Muskelunterstützung benötigen, sinnvoll (moder isoceles). Andererseits ist es praktisch unmöglich, unseren Körper vollständig ruhig zu halten. Dies ist u.a. durch den Herzschlag, die Atmung und die Magen-Darm-Peristaltik bedingt.

Die gebräuchlichen Atemtechniken bei der Schussabgabe im Wettkampf sind bekannt und können den Einfluss der Atmung reduzieren. Unser Körper versucht instinktiv, bei allen diesen Bewegungen gegenzusteuern. Durch kleinste Veränderungen der Körperposition (z. B. Arme) wird über Reflexbögen eine Gegenreaktion der Muskulatur erzeugt. Je besser unsere Muskulatur trainiert ist, je besser sich unser Herz-Kreislauf-System Stresssituationen anpassen kann, umso weniger sollten uns diese "Autoregulationen" unseres Körpers bei der Schussabgabe beeinflussen.

Diese Mechanismen treten natürlich auch bei allen anderen Schießpositionen auf. Es ist generell nicht möglich, dass wir unseren Körper komplett ruhig halten. Einen wesentlichen Einfluss haben darauf allerdings auch die Psyche, Konzentration, Ausdauer, Selbstvertrauen, und Selbstbeherrschung.

Psychologische Konditionierung

Jeder Waffennutzer kennt das Phänomen, dass an den meisten Tagen gute Trainingsergebnisse erreicht werden, an anderen deutlich schlechtere Schussbilder zu erkennen sind. Obwohl gleiche äußere Bedingungen vorliegen, die gleiche Waffe und Munition benutzt werden, treten diese Unterschiede auf. Eine Ursache liegt in der aktuellen mentalen Verfassung des Schützen.
Ein Schütze, der in einem nicht optimalen mentalen Zustand an einem Wettkampf teilnimmt, kann trotz bester körperlicher Verfassung nicht mit einer der vorderen Platzierungen rechnen.
Welche Methoden des psychologischen Trainings gibt es, um auf den Punkt mental für die zu absolvierende Aufgabe fit zu sein?

In der Praxis bieten sich 4 Trainingsbereiche an:
Atemtechnik (Atemregulation)
Visualisierung
Selbstgespräche
Meditation

Bewusstes ständiges und systematisches mentales Training ist bei Weitem noch keine Selbstverständlichkeit. Am häufigsten wird im professionellen sportlichen Umfeld (Fußball, Tennis, Golf, Formel 1 etc.) mit derartigen Methoden gearbeitet.
Wesentliche Ziele hierbei sind Motivation, Selbstvertrauen, Wahrnehmung und Konzentration. Dies ist bei Weitem keine umfassende Aufzählung. Bei der Schusswaffenanwendung kommen im Wesentlichen Konzentration und Selbstvertrauen als Trainingsziel in Frage. Diese psychischen Leistungsparameter können mit den o.g. Techniken spezifisch beeinflusst und in gewissen Grenzen auch kontrolliert werden.

Unser zentrales Nervensystem (ZNS) ist permanenten Veränderungen unterworfen (Lernprozesse), die meist unterbewusst ablaufen. Diese Prozesse zu beeinflussen und bewusst zu steuern ist Ziel jeder psychologischen Konditionierung.
Um neue neuronale Verbindungen (Lernen!) herzustellen, ist ähnlich dem physischen Training eine ständige Wiederholung anzustreben. Wichtig dabei ist, von positiven Erfahrungen, Erlebnissen und Emotionen auszugehen und diese zu vertiefen. Dabei werden spezielle kortikale Bereiche des ZNS (Großhirnrinde) beeinflusst und aktiviert, die den Lernprozess positiv beeinflussen. Negative Emotionen hingegen erreichen ZNS-Areale, die speziell für Angst und Stressreaktionen ansprechbar sind. Dies ist heute mit modernen medizinischen Methoden nachweisbar, z.B. mit Hilfe eines Magnetresonanztomographen (MRT).So aufwendig muss dies allerdings nicht sein. Jeder Mensch hat seinen "privaten MRT" ständig bei sich.
Dies geschieht u.a. in der unmittelbaren Phase vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen, wenn unsere Gedanken "spazieren gehen". Lasse ich dabei möglichst viele positive oder eher negative Gedanken und Emotionen an mich heran? Dies ist gezielt beeinflussbar und "trainiert" die entsprechenden Gehirnareale.

Von Bedeutung ist ebenfalls, dass unser Unterbewusstsein keine Verneinung kennt. Bei dem Satz "ich bin nicht nervös" vor einem Wettkampf registriert unser ZNS den Begriff "nervös" und aktiviert die entsprechenden Gehirnareale für Angst, Stress und eben Nervosität. Richtig müsste es heißen: "Ich bin konzentriert, aufmerksam und motiviert".
Kennt das ZNS jetzt diese positiven Begriffe durch eine entsprechende psychische Konditionierung, werden diese Hirnareale sofort aktiv und unterstützen den Schützen bei seiner Aufgabe. Dies ist unter anderem auch für private, berufliche und gesundheitliche Bereiche bedeutsam.

Die Frage ist, wie konditioniere ich mich, eher positiv oder eher negativ?
Unser Unterbewusstsein registriert dies sehr genau. Allerdings reicht einfach "positives Denken" nicht aus. Die Gedanken müssen auch realistisch sein. Wenn ich mir z.B. vorstelle, ich laufe ab nächste Woche die 100 m unter 11 Sekunden, führt das nur zur Frustration und die entsprechenden Gehirnareale werden aktiviert. Der oft zu hörende einfache Spruch "denk positiv" ist somit meist sinnlos und kontraproduktiv.

Ein beeindruckendes Beispiel für mentale Stärke und Konzentration lieferte Steffi Graf bei einem ihrer Grand-Slam-Finale, als sie sich derart und nur auf den nächsten Punkt konzentrierte und alles andere ausblendete, dass sie weiterspielen wollte und nicht bemerkte, dass sie das Match bereits gewonnen hatte. Erst die Kampfrichter konnten sie bremsen.

Derartige mentale und psychische Konditionierungen sind meist nur Ausnahmeathleten vorbehalten. Dennoch ist es möglich und sinnvoll, mentale Stärke und emotionale Fitness zu stärken und somit zu besseren Ergebnissen bei Training, Wettkampf und behördlichem Waffeneinsatz zu gelangen. Die vier genannten Techniken sind dabei unverzichtbare Hilfen für Sportler, Trainer und behördliche Waffenträger. Meditation stellt eher einen Überbegriff dar und beinhaltet Elemente aus den verschiedenen Techniken zur mentalen Konditionierung.


Von Dr. Jochen Scopp

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