Montag, 13. Oktober 2014

Medizinische Aspekte des Schusswaffentraings (Teil 3)

Atemtechnik

Atemtechniken haben den großen Vorteil, dass sie immer und überall trainierbar und einsetzbar sind. Auch im privaten und beruflichen Umfeld kann dies eine große Hilfe sein. So ist es mir z.B. in meiner Praxis möglich, bei bestimmten Stresssituationen diese mit Blick auf ein Bild (Anker) aufzulösen, zu unterbrechen, und mit Hilfe der Atmung wieder auf ein Normalniveau zu kommen und die Situation aus einer völlig anderen Perspektive zu betrachten. Dies ist oft eine große Hilfe und eröffnet neue Lösungsansätze.

Die Atmung ist eine wesentlich beeinflussbare Körperfunktion. Sie ist somit autonom. Damit sind physische und psychische Leistungsparameter zu beeinflussen und steuerbar. Die bewusste Konzentration auf die Atmung blendet zudem externe Einflüsse weitestgehend aus, unser "innerer Dialog" kann unterbrochen werden.
Deshalb ist eine bewusst gesteuerte Atmung auch eine wichtige Einleitungstechnik bei Meditationen. Eine bewusste Atmung führt zwangsläufig zur emotionalen Entspannung, was deutliche Auswirkungen auf körperliche Funktionen wie die Blutzirkulation, emotionale und kognitive Prozesse hat. Es kommt u.a. zum Abbau von Ängsten und zur Verbesserung von Lernprozessen.

Zur Einleitung einer Atmungs- und Entspannungstechnik sollte eine entspannte Körperposition eingenommen werden. Hier bietet sich in erster Linie eine Sitzposition an, aufrecht, beide Füße vollständig und fest auf dem Boden. In liegender Position besteht bei tiefer Entspannung die Gefahr des Einschlafens. In stehender Position ist eine gewisse Übung notwendig, dennoch ist es sehr wohl möglich, derartige Übungen im Stehen durchzuführen. Sicher ist es nicht notwendig, wie es z.B. aus Meditationstechniken unter anderem des ZEN-Buddhismus und anderer fernöstlicher Philosophien bekannt ist, einen für durchschnittliche Mitteleuropäer eher unbequemen und anstrengenden Lotussitz, in all seinen Variationen, einzunehmen. Dies behindert eher die Konzentration auf das Wesentliche, hier die Atmung, und es besteht die Gefahr, dass die Übung abgebrochen wird.

Die Konzentration richtet sich jetzt auf den normalen, individuellen Atemzyklus, der zunächst willentlich nicht beeinflusst werden sollte. Eine große Hilfe ist hierbei die Konzentration auf den leicht spürbaren Luftstrom am Naseneingang. Nach kurzer Zeit (individuell verschieden) erfolgt eine Konzentration auf die Ausatmung, die durch den Mund vorgenommen wird, eingeatmet wird durch die Nase. Diese sollte bewusst etwas langsamer ausgeführt werden, gefolgt von einer kleinen Atempause, bis die Atmung spontan wieder durchgeführt wird. Dies geschieht automatisch, im Wesentlichen gesteuert durch einen Anstieg der CO2-Konzentration im Blut. Diese körpereigene Steuerung führt unmittelbar zu einer etwas intensiveren und verstärkten Einatmung. Der Körper pendelt sich auf einen Atemrhythmus ein, der schnell und effektiv zu einer tiefen Entspannungsphase führt.

Diese schnelle Entspannungstechnik ist z.B. vor einem Wetkampf sehr effektiv. Im Training kann dies mit einer Pulskontrolle verbunden werden. Mir ist es z.B. möglich, in kürzester Zeit mit dieser Methode meinen Ruhepuls um bis zu 10 Schläge/Minute zu senken.

Durch leichte Modifikationen kann man sich mit diesen Techniken aber ebenfalls motivieren, die Atmungsübung wirkt dann stimulierend und aktivierend. Der wesentliche Unterschied besteht in einer bewussten Konzentration auf die Atmung.

Visualisierung

Die Visualisierung umschreibt Techniken, die mental den Ablauf oder Teile eines realen Vorhabens (Wettkampf) bzw. eines Ereignisses (Siegerehrung) hautnah simulieren. Der im Kopf ablaufende Film kann mental beeinflusst, gesteuert und gelenkt werden.

Die Visualisierungen beschränken sich nicht nur auf die bildliche Vorstellung, sondern auf alle Sinne die nötig sind, um eine möglichst realistische mentale Simulation zu erzeugen. (Bewegungen des Abfahrtsläufers vor dem Start). Bedeutung haben somit auch das Körpergefühl (kinästhetisch), Geschmack, Geruch und Gehör.

Für einen Sportschützen ist es sinnvoll, die Visualisierung aus einer inneren Position zu betrachten. Die "internale Perspektive" zeigt das, was der Betreffende bei der Absolvierung seiner Aufgabe wirklich sieht. Dies macht beim Schusswaffengebrauch durch die Einbeziehung von Visierbild und Haltepunkt sicher Sinn.  Gleiches trifft auf die exakte Abzugskontrolle im Sinne der kinästhetischen Visualisierung zu.

Im Gegensatz dazu ist es auch möglich, auf eine äußere Perspektive der Visualisierung zuzugreifen, man sieht sich aus der Position einer anderen Person ("externale Perspektive"). Vergleichbar ist dies mit dem Betrachten eines Videos.

Bei der Wahl der jeweiligen Visualisierung spielen die individuellen Vorlieben eine große Rolle. Auch kann zwischen beiden Möglichkeiten gewechselt werden. Innere, äußere und kinästhetische Komponenten treten meist kombiniert auf.

Das wohl bekannteste Beispiel einer Visualisierung ist die vorstellung einer Zitrone, deren Farbe, Konsistenz, Geschmack, Geruch, Geruch, Säure. Wem läuft bei diesem Gedanken nicht sofort das Wasser im Mund zusammen? Nach ähnlichem Muster laufen alle Visualisierungen ab. Von Bedeutung ist hierbei z.B. das Gefühl, "wie fühlt sich meine Waffe an?", kann ich das mental rekonstruieren, ist dies ein gutes Gefühl, ist das reproduzierbar? Die Haptik hat hierbei nicht nur eine rein praktische Bedeutung z.B. der Griff- und Rutschfestigkeit.

Eine hervorragende Möglichkeit der internen Visualisierung bietet sich auf dem Gebiet des Trainings einer sauberen Abzugsmanipulation. Der Schießrhythmus ist ist mental sehr gut zu simulieren und zu verinnerlichen, beginnend mit dem Visierbild/Haltepunkt über die Schussabgabe, Trigger-Reset bis zum Nachzielen. Kombiniert mit einem sinnvollen Trockentraining und der Überprüfung auf dem Schießstand, lassen sich hier erstaunliche Fortschritte erzielen.

Mit speziellen Übungen (Anleitung, Übungsleiter oder Trainer sind zumindest am Anfang sinnvoll!) kann u.a. eine Siegermentalität ("Winner-Feeling") gefestigt werden.
Die Visualisierung der Aufgaben innerhalb taktischer Szenarien kann verinnerlicht werden. Dies kann für behördliche Waffenträger interessant sein (Jetzt- oder Nie-Szenario).
Die Konzentration auf das Wesentliche ist mit speziellen Visualisierungen gut trainierbar. Ein Ansatzpunkt ist z.B. die Fokussierung auf das Problem "Trigger-Reset".


Von Dr. Jochen Scopp

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